Was ist Biodiversität und wieso ist sie auch für die Wirtschaft so wichtig?
Unter Biodiversität versteht man, wie viel Leben man in einem bestimmten Gebiet vorfinden kann – also wie viele unterschiedliche Pflanzen- und Tierarten in einem geographisch abgegrenzten Gebiet auffindbar sind. Entgegen der landläufigen Meinung hat Biodiversität nicht nur einen ökologischen, sondern auch einen wirtschaftlichen Nutzen: als sogenannte “Ökosystemdienstleistung” trägt sie direkt und indirekt zum menschlichen Wohlergehen bei. Diese globalen Ökodienstleistungen wurden von einem Forschungsteam um Robert Costanza von der Australian National University in Canberra 2011 auf insgesamt 125 Billionen US-Dollar pro Jahr geschätzt. Das entsprach damals dem Doppelten des weltweiten BIP.
Diese Ökosystemleistungen können wir teilweise überhaupt nicht ersetzen, wie zum Beispiel die Generierung fruchtbarer Böden, von denen ja unsere Welternährung abhängt.
Tropenbiologin Frauke Fischer
Die Erklärung für diese starke Abhängigkeit der Wirtschaft von der Biodiversität lässt sich durch viele Beispiele erläutern. So hängt die weltweite Lebensmittelindustrie von der Bestäubung von Pflanzen durch Bienen ab, die Holz-und Möbelindustrie von gesunden Wäldern, die Fischindustrie von artenreichen, nicht überfischten Meeren uvm.
Eine der am intensivsten debattierten Fragen ist, in welchem Umfang die wohlhabenden Länder in Biodiversität investieren sollen, um weiteren Artenverlust zu stoppen. Gegenwärtig fordern die Entwicklungsländer laut EIB eine jährliche Summe von mindestens 100 Milliarden US-Dollar zusätzlich zu den bereits bereitgestellten 100 Milliarden für Klimafinanzierungen. Es wird jedoch geschätzt, dass ein Betrag zwischen 100 Milliarden und 700 Milliarden US-Dollar pro Jahr erforderlich ist. Es herrscht also eine enorme globale Investitionslücke im Bereich Biodiversität.
Wie Unternehmen über sogenannte “Ökopunkte” dazu beitragen können, die Natur in Deutschland wieder artenreicher zu machen und dem weltweiten Trend des Artenverlustes entgegenzuwirken, wird im Folgenden erklärt.
Hintergrund, Funktionsweise und Kritik von/an Ökopunkten
Am 01.01.1977 ist das Bundesnaturschutzgesetz in Kraft getreten, welches sich als Ziel setzt, “Natur und Landschaft (...) so zu schützen, dass 1.die biologische Vielfalt, 2. die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts (...) sowie 3. die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert sind” (§1 BNatSchG).
Konkret fordert das Bundesnaturschutzgesetz in §§15 ff., dass für jeden Quadratmeter, der in Deutschland bebaut wird – egal ob für Privathäuser, Straßen, Fabrikhallen oder Ähnliches – an anderer Stelle die Natur 1:1 aufgewertet werden muss, diese "Versiegelung"/Bebauung der ursprünglichen Naturfläche also kompensiert werden muss. Die Notwendigkeit einer solchen Regelung wird vor allem deutlich, wenn man sich bewusst darüber wird, wie viel Naturfläche bebaut/versiegelt wird: In Deutschland werden pro Tag 56 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewidmet, wovon 45% versiegelt wird. Das entspricht über 78 bzw. 35 Fußballfeldern an umgewidmeter bzw. versiegelter Fläche pro Tag.
Visualisierung: Flächenversiegelung in Deutschland
Man stelle sich vor, ein Landwirt habe einen Acker, auf welchen er bisher monokultur-artig nur Mais angebaut hat und den Boden stark mit Dünger strapaziert hat. Diesen (artenarmen und ökologisch weniger wertvollen) Acker wandelt der Landwirt nun in eine Grünfläche, Streuobstwiese und Weide um. Da diese Fläche nun einen sehr fruchtbaren Boden hat, hohe Gräser enthält, sogenannte “Feldhecken”, in denen sich Insekten besonders gut ansiedeln können, und viele Obstbäume, die wiederum andere Tierarten anziehen, ist die Fläche um einiges artenreicher und damit ökologisch wertvoller. Diese ökologische Differenz kann er sich in Form von Ökopunkten bei der örtlichen Kommune oder dem Landratsamt auf ein Ökokonto gutschreiben lassen. Um Ökopunkte in Geld umzurechnen, multipliziert man einen Ökopunkt mit einer vorab festgelegten Geldsumme pro Punkt. Dieser liegt in der Regel zwischen 1 bis 4,50 €. Je artenreicher das durch die Aufwertung entstandene Biotop, desto mehr Ökopunkte können pro Quadratmeter gutgeschrieben werden. Dabei bewerten Ökopunkte den Biotopwert der Natur als Ganzes im “Vorher-Nachher”-Vergleich. Auch gibt es für diese Naturraum-Aufwertung viele Möglichkeiten, z.B. Erstaufforstungen oder die Wiedervernässung ehemaliger Moorflächen.
Nun stelle man sich vor, ein Unternehmen wolle eine neue Fabrikhalle bauen, wodurch eine insgesamt 66 Fußballfelder große Naturfläche bebaut/versiegelt wird. Dafür wird das Unternehmen in der Regel Ökopunkte erwerben müssen, um diese Versiegelung zu kompensieren, da die wenigsten Unternehmen ungenutzte unbebaute Grundstücke besitzen, die sie dann einfach z.B. begrünen könnten für die Anforderungen des Bundesnaturschutzgesetzes.
Funktionsweise von Ökopunkten
Die Verfahren, nach welchen Flächen ihre entsprechenden Ökopunkte erlangen, werden “Biotopwertverfahren” genannt. Im Grunde genommen verlaufen alle Biotopwertverfahren nach einem einheitlichen Schema, es gibt jedoch sehr viele verschiedene Verfahren, da nahezu jede Naturschutzbehörde ein eigenes Vorgehen nutzt. Föderale/kommunale Unterschiede bestehen hauptsächlich darin, welcher Biotoptyp wie viele Wertpunkte erhält (s. anschließende Erklärung). Das genaue Verfahren, wie eine Fläche ihre entsprechenden Ökopunkte erlangt ist Folgendes:
Biotopwertverfahren: Wie eine Fläche ihre Ökopunkte erlangt
Um einen “Vorher/Nachher” Vergleich zu erhalten, wird die Differenz zwischen dem “Vorher” und dem “Nachher” Zustand gemessen. In diesem Beispiel wäre das dann z.B.: NACHHER: 140 000 + 500 000 + 210 000 Ökopunkte = 850 000 Ökopunkte VORHER: 390 000 Ökopunkte → Differenz: 850 000 - 390 000 = 460 000 Ökopunkte, die dann auf dem Ökokonto gutgeschrieben werden.
Wie eingangs schon erläutert, richtet sich diese Naturraum-Aufwertung, die dann an anderer Stelle vorgenommen werden muss, nicht nach der reinen Quadratmeteranzahl, sondern danach, wie ökologisch wertvoll das “neue” Biotop ist. Viele Experten kritisieren jedoch die praktische Umsetzung dieses Aufwertungs-Systems. Die größte Kritik knüpft daran, dass viele Maßnahmen zu hoch bepunktet seien.
Warum und wie Unternehmen Biodiversität unbedingt in die Nachhaltigkeitsstrategie mit aufnehmen sollten
Die Relevanz von Biodiversität für Unternehmen wird vor allem deutlich, wenn man sich das Prinzip der sogenannten “doppelten Wesentlichkeit” vor Augen ruft: Dieses besagt, ein Unternehmen sollte sowohl berücksichtigen welche Einflüsse externe Faktoren (hier das Artensterben) auf das eigene Geschäft haben (“outside-in”), als auch welche Einflüsse das eigene Geschäft auf die Außenwelt hat (“inside-out”). Beispiele für solche “Outside-In” Risiken wurden eingangs schon erklärt - ergänzen lassen sich diese Risiken durch:
- Erhöhtes Versicherungsrisiko: Wenn beispielsweise ein Wald “stirbt”, welcher einen Hang vor Erdrutschen sichert, ist das Risiko viel höher, dass im Tal stehende Gebäude von einem Erdrutsch betroffen sind
- Steigendes Marktrisiko: Als Folge von zerstörtem Lebensraum kommt es dazu, dass Krankheiten von Wildtieren auf Menschen übertragen werden - die Corona Pandemie hat uns einleuchtend gezeigt welche enormen Auswirkungen dies auf die Wirtschaft haben kann.
- Zunehmendes Investitions-/physisch operatives Risiko: Durch das Artensterben und die die Übernutzung der natürlichen Rohstoffe werden auch viele natürliche Ressourcen und Rohstoffe knapper und kostenintensiver
- Vergrößertes (Kredit - und) Reputationsrisiko: z.B. die Diskriminierung von Unternehmen oder Industriezweigen aufgrund ihrer nachteiligen Auswirkungen auf die Biodiversität
- Verstärkte Regulatorische und rechtliche Risiken: Beispiele für solche Maßnahmen sind Vorschriften zur Kontrolle der Entnahme von tierischen Ressourcen (wie Fangquoten) oder zur Nutzung von Umweltressourcen (wie Emissionsgrenzwerte), sowie Regelungen zur Haftung für Umweltschäden. Die Themen Biodiversität und Artensterben finden auch Berücksichtigung im Klassifizierungssystem für nachhaltige Finanzen (Sustainable Finance Taxonomy) der EU, in den Rechnungslegungsvorschriften der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), den nachhaltigen Berichtsstandards der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) sowie in der neuesten Directive zur Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Due Diligence.
- Wachsendes Finanzierungsrisiko: Ein Beispiel könnte die Anpassung von Kreditkonditionen an Natur- und Biodiversitätskriterien sein, wie beispielsweise die Festlegung der Kreditzinsen. Dies könnte sich negativ auf die finanzielle Leistungsfähigkeit auswirken.
Durch den Erhalt der Biodiversität können die zuvor erwähnten Risiken in Chancen umgewandelt werden, wie beispielsweise in Marktchancen durch den Effekt des "First Movers" oder in neue Vertriebsmöglichkeiten.
Falls Interesse daran besteht, Biodiversität zu fördern, dann ist es auch möglich, Ökopunkte zu erwerben, abseits von Flächenversiegelung und Ausgleichsmaßnahmen. Denn Ökopunkte sind theoretisch für jeden zugänglich, können frei erworben und stillgelegt werden, nicht nur im Rahmen von Bauvorhaben.
Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass Ökopunkte einen Markt rund um Biodiversität erschaffen, welcher es ermöglicht, einfach und gut reguliert dem Artensterben entgegenzuwirken. Dies wiederum kann vor einer Vielzahl von Risiken schützen und den kommenden gesetzlichen Anforderungen gerecht werden.
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